Nass gemacht von „Grisu“ Boll

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Es gibt Orte, um die man in bestimmten Zeiten einen großen Bogen machen sollte: Indien während des Monsuns, Florida während der Hurricane-Season, die Reeperbahn während des Schlagermoves – oder eben Karlsruhe während einer Hitzewelle. Temperaturen von knapp unter 40 Grad hatte der Wetterdienst für das Auswärtsspiel unseres magischen FC beim Karlsruhe SC vorhergesagt – entschieden zu viel für sommerlichen Fußballgenuss. Die Reisevorbereitungen fielen dann auch etwas gründlicher aus als gewöhnlich: Sonnencreme, Mützen, Tetrapacks für die Mitnahme von Wasser ins Stadion, Klamotten zum Wechseln: Haken dran. Echte Auswärtsprofis gingen sogar noch weiter: Kunststofftütchen mit Zip-Verschluss, um bei der angekündigten Berieselung des Blocks durch die Karlsruher Feuerwehr Portemonnaies und Handys trocken zu  halten. Oder warme Jacken für die klimatisierten ICE-Wagen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Klimaanlage tatsächlich mal funktionieren sollte.

Die mitreisenden Nord Supportler hatten sich in zwei Gruppen geteilt. Gruppe eins nahm den Fanladen-Bus, Gruppe zwei reiste mit dem ICE an, wobei beide Gruppen dank Facebook in Kontakt waren. Gruppe zwei handelte sich gleich am Start 60 Minuten Verspätung ein. Erst ein Stellwerksschaden, dann spielende Kinder auf den Gleisen – irgendwas ist bei der Deutschen Bahn ja immer. Als es dann losging, war die Fahrt zunächst ziemlich angenehm. Die Klimatisierung funktionierte fast ideal –wobei dann doch Neid auf Gruppe eins aufkam. Im Fanladen-Bus hatten die Reisenden bei einem Stopp einen Eimer, kiloweise Eiswürfel, Strohhalme und Sangria gekauft und spielte Ballermann im Bus. Offenbar hatte auch der Busfahrer etwas von dem Gesöff bekommen. Jedenfalls steuerte er die Fanbus-Ladung zunächst zum Stadion des FSV Frankfurt am Bornheimer Hang, und nahm erst nach einem freundschaftlichen Kritikgespräch die Weiterreise nach Karlsruhe auf.
Für die ICE-Gruppe ging die Glückssträhne mit der Ankunft am Karlsruher Hauptbahnhof zu Ende. Die dortige Schließfachanlage hatte den Geist aufgegeben, bei der Suche nach Alternativen zerstreute sich die Reisegruppe etwas. Nachdem sich zumindest ein kleiner Teil wieder zusammengefunden hatte, stiegen wir in die S-Bahn – und machten dann so ziemlich alle Fehler, die man bei einer Auswärtsfahrt machen kann. Erstens: Heimfans in der Annahme folgen, diese kennen den Weg zum Stadion schon. Was sie auch tun, nur sind sie in aller Regel nicht gerade zum Gästeblock unterwegs. Zweitens: Die Gruppe auf dem Weg immer weiter aufsplittern, bis sie ein attraktives Ziel für die lokale Backenfutter-Fraktion bietet. Auf diese Weise landeten wir im Karlsruher Schlosspark, vor dem Gästefans nachdrücklich gewarnt werden. In unserem Fall zu Unrecht, denn der einzige Gegner war die brütende Hitze. Rund 30 Minuten vor Spielbeginn trafen wir am Gästeeingang ein und begrüßten dort Gruppe eins, die uns trotz des improvisationsstarken Busfahrers dort schon erwartete.
Eines muss man dem KSC lassen. Der Heimclub hatte sich ganz gut auf die Hitzeschlacht vorbereitet, auf den Klohäuschen war sogar ein Rasensprenkler montiert, von dem man sich berieseln lassen konnte. In einem Punkt allerdings hatte man uns zu viel versprochen. Die Berieselung mit Feuerwehrschläuchen war ein wenig suboptimal aufgrund von Reichweitenproblemen. Während die Fans auf den unteren Teilen der Traversen ob der reichlichen Wasserversorgung fast ersoffen (einer verkroch sich unter einem Schirm!), bekamen die Anhänger oben auf der unüberdachten Tribüne kaum einen Tropfen ab.  Unten sang man: „Wir haben Hamburger Wetter“. und oben:  „Wir wollen Hamburger Wetter“. Wir standen unten und wurden tropfnass. Allerdings nicht so nass wie ein Fan, der Opfer einer kleinen Fehlleistung der Karlsruher Feuerwehr wurde. Während einer Besprenkelungseinlage trat Feuerwehrmann 2 auf den Schlauch, der von Schlauchschwenker 1 in Richtung Fans gehalten wurde. Der ließ den Schlauch verdutzt sinken, weil kein Wasser mehr sprudelte. In diesem Augenblick verließ der Fuß von Brandbekämpfer 2 den Schlauch, und der nun wieder üppige Strahl kärcherte einen Fans weg, der direkt vorm Zaun stand.  
Zum Spiel und zum Support sei nur so viel gesagt: Die Hitze hinterließ deutliche Spuren – mit dem 0:0 konnten wir ganz gut leben. Die Spieler bedankten sich – obgleich völlig fertig – persönlich am Zaun. Kraft hatte nur noch der Kapitän. Der klaute sich den Feuerwehrschlauch und gab noch eine Runde kühlen Nasses für die Kurve aus. Nach dem Spiel äußerte er den Wunsch, nach seiner Fußballerkarriere Feuerwehrmann zu werden. Gute Wahl, „Grisu“ Boll.
Für den Rückweg hatte uns der Stadionsprecher einen Shuttlebus versprochen, den wir aber nicht finden konnten. Hätten wir gewusst, was uns neben einem langen Fußmarsch durch die Hitze noch erwartet, hätten wir uns vielleicht etwas gründlicher umgeschaut. So aber machten wir die Bekanntschaft der Brettener Jungs. Die Brettener Jungs sind ein KSC-Fanclub, nehmen sich aber eher aus wie ein drittklassiger Junggesellenabschied – nur dass man sich kaum vorstellen kann, dass jemand diese Gestalten heiratet: Blaue T-Shirts mit altdeutscher Beschriftung, keine Nazis oder Hools, aber Spießer, die alles ablehnen, was sie nicht kennen. Dazu zählen insbesondere Zecken, wie sie uns bereitwillig mitteilten. Die meisten Beleidigungen verstanden wir zum Glück wegen des gnadenlosen Dialektes nicht. So ignorierten wir die Brettener mit einer gewissen Willensanstrengung.
Da unser ICE erst um 20 Uhr zurückfuhr, hatten wir noch Zeit für großzügige Rehydrierung in den Biergärten. Nach und nach sammelte sich unsere Reisegruppe wieder am Bahnsteig – und mit uns die Mannschaft, die mit dem gleichen Zug zurückfuhr. Plötzlich fuhr am Nebenbahnstieg eine S-Bahn ein, der eine große Gruppe Fußballfans entstieg: Die Stuttgarter Kickers,  nach einer 0:4-Klatsche in Wehen auf dem Rückweg nach Schwaben. Die Bühne war bereitet für eine große Abschiedsvorstellung. „Scheiß St. Pauli“, freuten sich die Kickers, und wir antworteten mit einem kräftigen „Scheiß St. Pauli“. In den Gehirnen der Schwaben fing es schwer  zu arbeiten an. Inzwischen waren unsere kräftigeren Mitreisenden nach vorn gekommen, um sich die Lage anzuschauen. „Ach, nur die Stuttgarter Kickers“, prusteten etwas taktlosere St. Paulianer los, und sorgten dafür, dass die Kickers-Fans völlig die Contenance verloren. Das war dann aber nicht mehr unser Problem, sondern das von Team Green, das den Durchreisenden die angekündigte Karlsruher Null-Toleranz-Politik verdeutlichte.
Wir hingegen setzten unsere Reise in einem klimatisierten ICE fort, förderten kräftig die Flüssigkeitsaufnahme, bis der Speisewagen den Ausverkauf sämtlicher Biersorten bekannt gab. Und dann gab es sogar noch einen Sommernachtstraum. Im fast restlos geplünderten Bordbistro saß eine kleine Gruppe Rostocker bei Sekt oder Prosecco und unterhielt sich angeregt mit St. Pauli Fans. Vielleicht ist der Weltfrieden ja doch keine Utopie.