Der Norden auf Rädern

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Auswärtsfahrten mit dem Bus sind immer so eine Sache. Die Mitfahrer sind eine Wundertüte: Man weiß nie was man kriegt. Dazu kommen die verkehrsmittelspezifischen Nachteile: mangelndes Raumangebot und permanente Zwangspausen wg. blasenschwacher und/oder dem Nikotin zugetaner Mitreisender.  Und am Ende findet sich so gut wie immer jemand, der das Gefährt vollkotzt.
Bei der Auswärtsfahrt zu Union Berlin sollte das alles anders sein. Jede Menge nette, bekannte Gesichter aus der Nordkurve – Männer und Frauen mit Blasen und Mägen aus Stahl, die notfalls eine Fahrt nach Paris ohne Pinkelstop durchhalten.
Dieses Durchhaltevermögen sollte jedoch auf eine harte Probe gestellt werden, wie bereits am Treffpunkt deutlich wurde. Unmengen an Bier und ein deutlich überschaubareres Quantum an nicht-alkoholischen Getränken wurden eingeladen. Der selbstgesteckte Zeitplan erwies sich - gelinde gesagt - als ein wenig zu ehrgeizig. Ein Stau in der ersten Fahrtstunde und ein ungeplanter Boxenstop, weil – lassen wir das.

Nötiger Zwischenstopp

Unterbrochen von weiteren Pausen näherte sich der Bus gemächlich der Hauptstadt. Im Bus stieg die Stimmung, die ersten Gesangswettbewerbe Bug gegen Heck entschied der vordere Busteil noch knapp für sich. Für noch mehr Jubel sorgte ein kleines Quiz: Für eine richtige Antwort auf die Fragen aus der Vor- und Frühzeit des magischen FC gab es je ein Auswärtstrikot. Danke an den Spender.
Am Stadtrand von Berlin angekommen entwickelte unser Busfahrer eine wundersame Zuneigung zum Berliner Ring, den er halb umrundete, bevor er sich in den Stau in Richtung Oberbaumbrücke stellte. Dort wartete in der Kneipe Oberbaumeck eine gesponserte, superleckere Kürbissuppe, die aus Zeitgründen in Rekordtempo verkasematuckelt wurde. Zudem konnte man sich dort noch kurz mit einigen befreundeteten St Paulianern aus Leipzig sowie befreundeten Babelsbergern austauschen, bevor es weiter zum Stadion ging.
Aus Angst vor weiteren Staus entschied sich der Nordmob, den restlichen Weg nach Köpenick an die Alte Försterei umweltfreundlich mit der S-Bahn zurückzulegen. Dieser taktische Kniff brachte das sorgfältig ausgeklügelte Sicherheitskonzept des Berliner Team Green offenkundig total ins Wanken. „Ja, rund 38 Köpfe – weiß auch nicht, woher die kommen“, brabbelte ein Ordnungshüter in sein Funkgerät. Das ließ aufhorchen: Entweder litten die Berliner Cops an schwerer Diskalkulie, oder wir hatten auf den ersten 300 Metern rund 20 Prozent unserer Reisegruppe verloren.
In der Bahn wurde dann ein S-Bahn-Posing vom feinsten gezeigt, wobei wir paritätisch den eigenen Verein hochleben ließen und unseren Stadtrivalen zum Teufel wünschten. Für eingeschüchtert-amüsierte Union-Fans wurde spontan ein Beruhigungsgesang komponiert. „Harmlose Spinner, wir sind nur harmloser Spinner“.
Das unkomplizierte Miteinander endete am S-Bahnhof Köpenick als uns die Berliner Polizei in Ausübung strenger Fankontrolle eine Eskorte, nun ja sagen wir: anbot. Allerdings musste Team Green eine kleine Lehrstunde in Sachen flexibler Taktik nehmen, Denn durch mehrere Straßenseitenwechsel, unmotivierte Pinkelstopps, zügiges Tempo vorn und langsames Tempo hinten, zog sich die Gruppe gewaltig in die Länge.
Unsere ungebetene Begleitung lieferte immerhin fünf Mann von uns wohlbehalten am Stadion ab. Auch der Rest kam tröpfchenweise an. Die nun folgende exzessive Leibesvisitation wäre eine bessere Sache Wert gewesen. Knapp vor dem Anpfiff waren wir dann in der Alten Försterei.

Dankesehr!Viele Fans halten die Alte Försterei für eines der schönsten deutschen Stadien. Bei nur 18000 Mann Fassungsvermögen sorgt eine lange Stehgerade für tolle Stimmung. An diesem Tag bekamen die Eisernen kräftig Paroli von insgesamt rund 2000 St. Pauli-Fans, die einen Höllenlärm veranstalteten. Nach einer verhaltenen ersten Halbzeit, die torlos endete, erwies sich der magische FC als cleverer. Naki und Thorandt sorgten für das 2:0 und weitere drei Auswärtspunkte.
Respekt für die Eisernen: Ihr Anhang verabschiedete die Mannschaft anständig, und die Unsitte, die halbe Tribüne vor dem Abpfiff zu räumen, hat sich an der Alten Försterei auch noch nicht durchgesetzt. Dafür – und für die kämpferisch gute Leistung der Union-Elf - gab es zumindest aus unserem Sitzblock Beifall.
Zurück am Bus, der es nun auch nach Köpenick geschafft hatte,  trafen wir unsere ehemaligen Wegbegleiter vom Team Green wieder, die sich nach unserem Anführer erkundigten. Die Antwort „Oh, wir sind hier ziemlich basisdemokratisch. Wir müssen erstmal abstimmen, ob wir mit Ihnen sprechen dürfen“, hinterließ beim Zugführer einen ziemlich gequälten Gesichtsausdruck. Schließlich waren dann doch alle Fragen geklärt, und wir stürzten uns wie die Raubmörder auf die Getränkevorräte im Bus. Dank der lachhaften Einstufung der Partie als Sicherheitsspiel hatten wir im Stadion nur die Schattenseiten der Berliner Braukunst erfahren dürfen.
Endlich setzte sich der Bus Richtung Hamburg in Bewegung – ohne die Mitreisenden, die übers Wochenende in Berlin blieben und zwei Mann, die sich an der nahelegenen Tankstelle mit Vorräten eindecken wollten. Diese schlossen sich mit einem veritablen Spurt noch der Rückfahrt an, die mit einer Polizeieskorte in Richtung Autobahn begann. Unvermittelt verzog sich Team Green und ließ den Bus in ländlich anmutender Umgebung alleine. Nach einer halbstündigen  Irrfahrt in Richtung Ukraine fand der Fahrer schließlich den Berliner Ring, den er ein zweites Mal zu 75 Prozent umrundete.
Die Rückfahrt war mehr oder weniger ereignislos – wenn man von der bemerkenswerten Abnahme der Biervorräte einmal absieht. Gegen  2 Uhr nachts erreichten wir den Hamburger Hauptbahnhof.
Allen Organisatoren, Helfern und Mitreisenden herzlichen Dank für eine wirklich nette Auswärtsfahrt.