Dietäs wilde Jagd

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Früher war alles besser. Man traf sich auf ein Bier am AfM-Container vor der Nordkurve und ging dann irgendwann beseelt in das Stadion, um eine Choreo vorzubereiten, Plätze im Block zu besetzen oder einfach nur ein Schwätzchen zu halten. Seit dieser Saison ist alles anders. Der AfM-Container steht auf dem Südkurvenvorplatz, und viele ganz normale Fans eilen eben dorthin mit Managergesichtern und Handy am Ohr. Der Grund: Die Kartenvergabe für die laufende Saison hat einen schwunghaften Tauschhandel in Gang gebracht, der am Spieltag vor der Südkurve seinen Höhepunkt findet.

Nehmen wir als Beispiel eine neunköpfige Bezugsgruppe, die in der vergangenen Serie mit Saisonkarten in der Nord saß. Für diese Saison haben vier  der Nordsitzer Zusagen für eine Dauerkarte, vier weitere nennen eine Saisonkarte für die Südkurve ihr Eigen. Einer ging leer aus.  Aber alle wollen in die Nordkurve. Da es auch in der Gegenrichtung Bedarf gibt, ist das auch möglich, erfordert aber einen gewissen logistischen Aufwand.
Ohne das Getausche hätten wir jedoch den Dietä nicht kennen gelernt. Dietä ist um die 40 Jahre alt, Brillenträger und ziemlich untersetzt. Er lauert  am Südkurvenvorplatz auf seine Beute, genauer gesagt auf die Spieler des magischen FC. Jedes Mal wenn ein Spieler mit seinem Auto heranrollt, wird Dietä ganz nervös. Er steuert auf die ahnungslosen Fußballgötter zu, hakt sich bei ihnen unter und lässt sich mit ihnen fotografieren.

Leider ist Dietä nicht ganz sattelfest, was die Spieler angeht. „Wie heißt Du eigentlich?“, fragt er den völlig verdatterten  Florian Kringe nach dem gemeinsamen Schnappschuss in süddeutschem Akzent. „Kringe“, erwidert dieser leicht gekränkt und trollt sich in Richtung Millerntor. Das sagt Dietä gar nichts. „Du bist doch nicht etwa Gästefan, Dietä“, haken wir grinsend nach. Das macht Dietä etwas nervös, er hat ja schon einiges von gewaltbereiten Paulis gehört. Er sei ein St.-Pauli-Fan aus Heidelberg beteuert er. Heidelberg liegt 8 km von Sandhausen entfernt.Wir überlassen Dietä seiner Sammelleidenschaft und begrüßen die üblichen Verdächtigen vor dem AfM-Container. Schließlich ist der letzte Tausch abgewickelt und es geht ab in den Norden. Die Erwartungen sind nach dem bescheidenen Saisonstart nicht sehr hoch, aber eine Niederlage gegen den Aufsteiger mag sich keiner ausmalen. Angelegentlich schlendere ich zum kleinen Gästeblock, der komplett in N5 untergebracht ist. Ein kleines Häufchen Baden-Württemberger baut gerade ein paar Choreomaterialien zusammen. Dietä ist nicht dabei. Vermutlich sitz er noch auf einem der zahllosen Dixieklos und schließt mittels Kicker-Sonderheft seine Wissenslücken. Die Sandhausener dürfen bei ihrem Support übrigens aus dem Vollen schöpfen. „Alle Materialien sind genehmigt, bis auf die Gummipuppe“, war in ihrem Fanforum zu lesen.

Der kurze Blick auf die  Gästefans lohnt, denn das ist so ziemlich das Letzte, was ich an diesem Tag von ihnen sehe oder höre. Das Spiel beginnt mit einer atemberaubenden Choreo von USP und einer üppigen Schnippselwerfung auf dem südlichen Teil der Gegengerade, die diesmal mit 6000 Fans besetzt ist. Wenn sie fertig ist, wird sie gewaltig sein.
Weniger gewaltig war zunächst der Support. Das „Diffidati con noi“ aus der Süd fand in den anderen Stadionteilen wenig Widerhall – vielleicht wissen die meisten Fans nicht genug über die haarsträubenden Details zu den Stadionverbotsfällen der jüngeren Geschichte. Aber es wurde besser. Nord-Support hatte zumindest einen ganz guten Tag erwischt, Wechselgesänge mit der Gegengerade klappten ganz gut. Highlight war ein Wechselgesang mit Block N1, wo die Singing Area der Gegengerade ihr vorübergehendes Exil fristet.
In der zweiten Halbzeit wurde die Atmosphäre immer besser, woran unsere Mannschaft mit zwei Toren erheblichen Anteil hatte.
Trotz des 2:1-Sieges gab es am Ende etwas Wehmut. Fabio Morena, unser Capitano und jetzt im Trikot der Sandhausener, bekam seinen offiziellen Abschied und sagt  auch vor der Nordkurve tschüß– mit seinen beiden Kindern an der Hand. Fabio kam in den schwierigsten Zeiten zum magischen FC und gehörte zu den Spielen, die verstanden, was unseren Verein ausmacht. Capitano: You'll never walk alone.
Nach dem Spiel schlossen sich viele Nord-Supportler dem Solimarsch für die Stadionverbotler an, vorbei an Dietä, der die Lücken in seinem Fotoalbum unbedingt noch schließen wollte.