Wir stehlen Euer Vieh

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Sandhausen? Klarer Fall! Ein für uns neuer Ground, klare drei Punkte zu erwarten, die schmucke Universitätsstadt Heidelberg in der Nähe und eine Stadt Pauli Party der dortigen Partisans am Vorabend – genug Gründe also für eine Reihe von Nordsupportlern die mehr als 500 Kilometer nach Baden Württemberg in Angriff zu nehmen. Wie fast immer konnte man sich über eine gemeinsame Anreise nicht so recht verständigen. Einige nahmen den Fanladen-Bus und setzten sich der Gefahr gewöhnungsbedürftiger Musik aus, ein weiteres Grüppchen schloss sich der ICE-Gruppenreise an – und der Rest entschied sich für eine Pkw-Anreise mit Übernachtung.

Letztere Gruppe traf sich um 10 Uhr am Sonnabend und flog mal wieder schwer übermotorisiert über die A7 und A5 in Richtung Süden. Ein Geschäftsbesuch bei einem Konfetti-Lieferanten in der Nähe von Frankfurt schränkte das anfangs üppige Raumangebot zwar entscheidend ein – aber man muss halt heute schon an die Choreo von morgen denken. Schon am späten Nachmittag kamen wir in Heidelberg an und nisteten uns in den gebuchten Absteigen ein. Eine lästige Minderheit unter den Mitreisenden bestand auf einen kulturellen Rundgang durch Heidelberg, dessen Höhepunkte ein Marsch durch die Fußgängerzone, das Treffen mit einem Fangrüppchen auf einer Neckarbrücke und natürlich der Besuch eines Irish Pubs zwecks Zurkenntnisnahme der Bundesliga-Konferenz waren. Verstimmt mussten wir mit ansehen, wie sich unser Ortsrivale weigerte, zum Gelingen der Auswärtstour beizutragen und 4:1 in Dortmund gewann.
Wir trösteten uns bei einem anständigen Abendessen im Krokodil und machten uns dann auf den Weg zur Party der Partisans. Dort waren wir die ersten Gäste und okkupierten demzufolge das bequemste Sofa im Raucherzimmer. Außer einem sehr ansehnlichen Getränkekonsum konnten wir wegen Übermüdung nicht ganz so viel zum Gelingen der netten Feier beitragen und suchten bereits zu einer sehr zivilisierten Zeit das Nachtlager auf.
Am Morgen schlief der studentische Teil unserer Reisegruppe mühelos bis 10 Uhr durch, während die Guten und die Alten unter seniler Bettflucht litten und um 9 Uhr schon mal eine Scouting-Tour nach Sandhausen antraten. Nach einem sehr anständigen Frühstück im Krokodil ging es dem vermeintlichen Höhepunkt der Reise entgegen – dem Spiel.
Dank der seminächtlichen Erkundungstour unserer Pfadfinder steuerten wir einen Parkplatz in einem Wohngebiet an, der nach Spielende eine schnelle Erreichbarkeit der Autobahn versprach. Von da ging es zu Fuß ins Hardtwaldstadion dessen ländliche Lage dem alten St. Pauli-Gassenhauer „Wir kommen aus dem Norden“ eine neue Schlusszeile bescherte. Statt „Wir waschen uns nie“ hieß es von nun an für den Rest der Tour „Wir stehlen Euer Vieh“.
Der Weg zum Gästeblock führte quer durch den Wald, wo wir auf halb erfrorene St. Paulianer trafen, die um 9 Uhr den Hardtwald erreicht hatten, dort von ihrem Busfahrer ab- beziehungsweise ausgesetzt wurden und dann registrieren mussten, dass die Sandhausener Gastronomie nicht so recht auf Frühstücksbesuch eingestellt ist.
Der Bewaldung perfekt angepasst hatte sich hingegen ein südkurven-bekannter Düsseldorf-Fan und St. Pauli-Sympathisant, der eine Jutetüte mit Bärenbrüder Motiv spazieren trug und dafür Wellen hartherzigen Gelächters ertragen musste. Schließlich trafen auch unsere Zug- und Busfahrer ein. Unter den Zugfahrern kursierten Berichte, dass St. Pauli Fans für betrunkene Nazis mit Sturm-18-Jacken offenbar nicht die optimale Reisebegleitung sind.
Auf der Nebentribüne formierte sich die 40 bis 50 Mann starke aktive Fanszene der Sandhausener. Wir rechneten nicht damit, während des Spiels angesichts mehr als 3000 Gästefans viel von ihnen zu hören zu bekommen, aber das sollte ein Irrtum sein.
Das hing damit zusammen, dass der Tabellenvorletzte von der ersten Minute an begann, unsere Elf nach allen Regeln der Kunst auseinanderzunehmen. Nach drei Minuten  stand es schon 1:0. Nach dem 3:0 nach knapp 40 Minuten hopsten gar die beiden USP-Vorsänger vom Zaun. Fortan wies der Support im zentralen Bereich der Gästetribüne Ähnlichkeiten mit dem der alten Gegengerade während der Vorurlaubszeit auf. Der Rest des Spiels war eine Mischung aus Frost, Frust und Entsetzen. Linksverteidiger Schachten brachte es nach dem Schlusspfiff auf den Punkt als er den Fans zurief: „Für den Scheiß seid ihr 500 Kilometer gefahren“ Falsch Schachten: Es waren 583 km – und in diesem Moment bedauerten wir jeden einzelnen von ihnen.